Der Ausbau von Angeboten, aber auch die Digitalisierung und Vernetzung aller Verkehrsträger sind von zentraler Bedeutung, um nahtlose Mobilität in Nordrhein-Westfalen möglich zu machen.
Der ÖPNV als Rückgrat für Mobility-as-a-Service: Mit MaaS NRW will Nordrhein-Westfalen das öffentliche Mobilitätsangebot besser machen und als bedarfsorientierte Dienstleistung etablieren. Das mehrstufige Landesprogramm fördert die Entwicklung multimodaler Mobilität nach dem Zielkonzept Mobility-as-a-Service.
Bereits heute vernetzte Angebote öffentlicher und privater Verkehrsdienstleister sollen zukünftig ein integriertes Mobilitätsangebot bilden – flächendeckend und gebündelt in möglichst wenigen, datenhaltenden Systemen. Damit werden sie einheitlich anbindbar an digitale Mobilitätsanwendungen und zugleich einfach zugänglich für ihre Nutzer:innen. Unsere Interviewpartner
beschreiben die Herausforderungen für Mobility-as-a-Service in Nordrhein-Westfalen, die Pläne zur Umsetzung von MaaS NRW sowie die Idee hinter dem Aufbau eines, von der Landesagentur NRW.Mobidrom betriebenen Zentralen Mobilitätsdatenzugangs.
Dr. Christian Lange: Ziel des Ministeriums für Umwelt, Naturschutz und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen (MUNV) ist es, den Menschen ein nachhaltiges und nahtloses Mobilitätsanagebot zu ermöglichen. Dafür wird das vom MUNV initiierte Programm „Mobility-as-a-Service NRW“ gemeinsam mit den Mobilitätsakteuren in Nordrhein-Westfalen umgesetzt. MaaS NRW ist ein mehrstufiges Programm mit iterativen Entwicklungsstufen. Es baut die bestehenden System-, Daten- und Projektlandschaft Schritt für Schritt weiter aus mit dem Ziel, vernetzte und nahtlose Mobilität umzusetzen. Mit jeder umgesetzten Entwicklungsstufe verbessert sich das Mobilitätsangebot für die Menschen in Nordrhein-Westfalen. Neue technische Möglichkeiten oder Trends können flexibel in zukünftige Umsetzungsschritte miteinbezogen werden. Die erste Entwicklungsstufe MaaS 1.0 wurde auf dem Bündnis-Tag im Dezember 2021 vorgestellt. Hierbei ist nahtlose Mobilität im Rahmen bestehender Fokusprojekte bereits heute im Alltag erlebbar. In der zweiten Entwicklungsstufe (MaaS 2.0) wurden bis Ende 2022 die aufgenommenen Umsetzungsschritte aus MaaS 1.0 fortgeführt und vertieft. Die bestehenden Elemente von MaaS NRW werden weiter ausgebaut und auf andere Regionen Nordrhein-Westfalens ausgeweitet.
Dr. Christian Lange: Für das intermodale und nahtlose Planen, Buchen und Bezahlen ihrer Reise nutzen Reisende digitale und vernetzte Systeme; verschiedene Angebote werden bei MaaS NRW lückenlos miteinander verzahnt. Dabei geht es darum, durch die Vernetzung von Hintergrundsystemen das Angebot flächendeckend zu optimieren, egal über welche Anwendung die Menschen ihre Reise buchen und bezahlen möchten. MaaS NRW soll also im Hintergrund laufen, während der Zugang und die Nutzung des Angebots im Vordergrund so einfach wie möglich gestaltet wird.
Der Ausbau von Angeboten, aber auch die Digitalisierung und Vernetzung aller Verkehrsträger sind von zentraler Bedeutung, um nahtlose Mobilität in Nordrhein-Westfalen möglich zu machen.
Dr. Robin Fink: Das MaaS NRW-Umsetzungsprojekt steht derzeit genau da, wo wir es haben wollen und bei Projektstart anvisiert hatten. Dies haben wir auch den zahlreichen, bereits realisierten Leuchtturmprojekten und den Digitalisierungsvorhaben rund um die ÖPNV Digitalisierungsoffensive NRW zu verdanken. Beispiele hierfür sind der grenzüberschreitende interoperable Ticketing Ansatz von easyConnect sowie die Einführung des digitalen luftlinienbasierten Tarifs eezy.nrw. Wir haben u. a. zwei Förderaufrufe zu MaaS NRW veröffentlicht, bei denen MaaS-relevante Projekte mit Blaupausencharakter gefördert wurden. Blaupausencharakter heißt, dass sich die Ansätze auf andere Unternehmen, Kommunen oder Regionen übertragen lassen. Dadurch schaffen wir einen landesweiten Nutzen. Durch intelligente Vernetzung und Zusammenführung von Systemen im Hintergrund wird der Zugang zu digitalen Mobilitätsangeboten zukünftig nicht mehr von der zufälligen Installation der „richtigen“ App abhängen, sondern möglichst App-unabhängig umgesetzt werden.
Dr. Robin Fink: Eine der zahlreichen aktuellen Herausforderungen ist die Schaffung einer technisch einfachen Anbindungsmöglichkeit des Fahrrad-Routing-Algorithmus aus dem Radroutenplaner NRW an vorhandene Mobilitäts-Apps. Zudem wird im Jahr 2023 der Zentrale Mobilitätsdatenzugang als wichtiges Vorhaben aus dem Zukunftsvertrag der Landesregierung ausgeschrieben und vergeben. Dieser Datenzugang bündelt wichtige MaaS-bezogene Funktionen an zentraler Stelle. Die Anforderungen dazu werden und wurden bereits in umfangreichen Workshops u. a. gemeinsam mit der Mobilitätsbranche in NRW erhoben. Zudem befüllen wir aktuell gemeinsam mit MaaS-Projektdurchführenden den sogenannten „MaaS-Baukasten“. Ein landesweiter Erfahrungs- und Wissensschatz aus Good Practices zur erfolgreichen Umsetzung von MaaS-Projekten in Nordrhein-Westfalen wird gesammelt; u. a. fließen dort Erkenntnisse aus den geförderten MaaS-Projekten ein. Damit wollen wir die Einstiegsbarriere zum Start von MaaS-Vorhaben in Nordrhein-Westfalen absenken, erfahrungsbasiertes Lernen im komplexen MaaS-Umfeld unterstützen und die Übertragbarkeit von Projektergebnissen sicherstellen.
Kerngedanke und auch entscheidend für die weitere Umsetzung von MaaS NRW ist, dass wir wegkommen von der Vielzahl von Daten- und Systeminseln.
Dr. Robin Fink: Der schon genannte, von NRW.Mobidrom betriebene Zentrale Mobilitätsdatenzugang wird die Grundlage für den Mobilitätsdatenaustausch bilden, er wird der One-Stop-Shop für Mobilitätsdaten in NRW. Der Zentrale Mobilitätsdatenzugang vernetzt bestehende Datenplattformen und Mobilitätsangebote so, dass Dateninseln eingebunden werden und damit ein möglichst einheitlicher rechtlicher und technischer Rahmen für anbieterübergreifenden Datenaustausch entsteht; ein enger Einbezug des ÖV-Datenverbundes und der DELFI-Landessysteme ist dabei selbstverständlich. MaaS NRW eröffnet somit neue Möglichkeiten des Datenaustausches und vernetzt Mobilitätsdaten auf einem völlig neuen Niveau. Der sichere Austausch von Daten und Datensouveränität stellen dabei klare Anforderungen und Prioritäten dar: Im Rahmen von MaaS NRW werden Konzepte für Zugriffskontrolle, Datenschutz und -hoheit sowie für IT-Sicherheit entwickelt, um sicheren Datenaustausch zu gewährleisten. MaaS NRW wird auch den fairen Datenaustausch in den Vordergrund stellen; dieser soll auf diskriminierungsfreier und standardisierter Basis erfolgen. Der Zentrale Mobilitätsdatenzugang wird zusätzlich auch Services anbieten, um beispielsweise kleineren oder neuen Anbietern Anschlussmöglichkeiten zu bieten bzw. diese zu erleichtern. Die diskriminierungsfreie Teilhabe steht dabei im Vordergrund, dadurch wird auch für wirtschaftliche Fairness gesorgt.
Dr. Hanno Bäumer: Eine Grundvoraussetzung für die Realisierung des Landesprogramms MaaS NRW ist die Verfügbarkeit von verkehrsträgerübergreifenden statischen und dynamischen (Mobilitäts-)Daten. Nur wenn diese Daten vollständig und umfassend bereitstehen, kann Reisenden eine optimale, bei Bedarf auch intermodale Routingempfehlung gegeben werden. Um die hierfür erforderlichen Mobilitätsdaten vorzuhalten, bedarf es einer Austauschplattform, die alle verfügbaren Daten des ÖV, des Individualverkehrs (IV) sowie des Rad- und Fußverkehrs bündelt, falls notwendig veredelt und möglichst diskriminierungsfrei zur Verfügung stellt. Diese Rolle wird der Zentrale Mobilitätsdatenzugang übernehmen. Wichtig ist, dass dieser existierende Systeme wie z. B. Fahrgastinformationssysteme des ÖPNV und (regionale) Mobilitätsdatenplattformen nicht ersetzen wird. Vielmehr ergänzt er das bestehende Mobilitäts-Ökosystem.
Der Zentrale Mobilitätsdatenzugang stellt ein verknüpfendes Element dar, mit dessen Hilfe die Weiterentwicklung und Optimierung von Mobilitätsangeboten ermöglicht wird, insbesondere im Kontext von Angeboten zum Planen, Buchen und Bezahlen intermodaler Reiseketten.
Dr. Jochen Harding: Ein wesentlicher Aspekt für die Akzeptanz ist die Schaffung konkreter, erlebbarer Mehrwerte für die beteiligten Stakeholder. Zu diesem Zweck werden über den Zentralen Mobilitätsdatenzugang weitergehende Services in Bezug auf die Datenbereitstellung und -transformation sowie die Ermittlung intermodaler Reiseketten angeboten, durch die ein niedrigschwelliger Zugang insbesondere auch für Kommunen und private Mobilitätsdienstleister geschaffen wird. Die Unterstützung aller Stakeholder ist für den Erfolg des Landesprogramms MaaS NRW unerlässlich. Aus diesem Grund hoffen wir, dass alle Stakeholder dem MaaS-Programm offen gegenüberstehen – nicht zuletzt profitieren auch sie von einer einfachen Buchung von intermodalen Reisen. Erste Gespräche verliefen durchweg positiv.
Dr. Jochen Harding: Der Aufbaustab NRW.Mobidrom hat zum 1. September 2022 die Tätigkeit aufgenommen und wird in einem ersten Schritt als Einheit des Landesbetriebs Straßen.NRW aufgebaut. Die Ausgründung in eine landeseigene Gesellschaft ist für 2023 vorgesehen. In der gegenwärtigen Anlaufphase konzentriert sich NRW.Mobidrom primär auf den Aufbau des Zentralen Datenzugangs als technischen Kern des Landesprogramms MaaS NRW. Mit weiter voranschreitendem Personalaufbau in den kommenden Monaten und Jahren wird sich NRW.Mobidrom weiterer Aufgaben im Bereich der vernetzten und digitalisierten Mobilität annehmen und sich in diesem Kontext zu einem der zentralen Ansprechpartner für alle Stakeholder entwickeln.
In Kombination mit der parallelen Weiterentwicklung des Verkehrsportals Verkehr.NRW entsteht ein Schaufenster für die übergreifende Darstellung von mobilitätsrelevanten Daten, das als wichtige Informationsquelle für alle Bürgerinnen und Bürger dienen kann.
MaaS NRW hat das Potenzial, eine Vielzahl von Reisenden für nachhaltige Mobilitätsformen zu gewinnen. Wer sich aber für umweltschonende Mobilitätsoptionen entscheiden soll, muss erst einmal überhaupt erfahren, dass diese an seinem aktuellen Standort oder in der Nähe zur Verfügung stehen. Derzeit empfinden viele Menschen Bus- und Bahnfahren noch als kompliziert und unbequem. Sie wissen nicht, welches Ticket sie brauchen, wann die nächste Bahn kommt oder welche App sie für welchen Sharing-Anbieter für die letzte Meile brauchen. Zum Beispiel mit flächendeckenden ÖPNV-Echtzeitinformationen auf Basis der DELFI-Landessysteme oder auch durch die Einführung des luftlinienbasierten und NRW-weiten eTarifs eezy.nrw wurde der Zugang zum ÖPNV bereits deutlich vereinfacht. Diese Idee der Einfachheit gilt es nun auf die gesamte private und öffentliche Mobilität in Nordrhein-Westfalen zu übertragen. Idealerweise lässt sich in Zukunft eine ganze Reisekette mit der gewohnten App buchen – und am Ende gibt es nur eine Rechnung für die gesamte Fahrt.
Verkehrsmittel lückenlos verzahnen, damit Reisende individuell, komfortabel und multimodal ans Ziel kommen: Mit Mobility-as-a-Service NRW, kurz MaaS NRW, soll das Mobilitätsangebot für die Menschen in Nordrhein-Westfalen besser, sicherer und sauberer werden. Indem das landesweite Programm nahtloses Planen, Buchen und Bezahlen einer Reise im Öffentlichen Nahverkehr möglicht macht, unterstützt es eine nachhaltige Mobilitätswende.
Foto: © MaaS NRW (1) © MUNV (2), © privat (3+4)