Insgesamt geht es darum, den bestehenden ÖPNV durch neue Bedienformen bestmöglich zu ergänzen – so dass die Kunden und zugleich auch die Umwelt davon profitieren.
Wer zum Beispiel zur Nachtzeit schon mal auf den Bus wartet, weiß: Das kann dauern. On-Demand-Verkehre bzw. Ridepooling-Systeme können eine Alternative bieten. Mit digitalem Bestellservice per App entsteht ein Mobilitätsangebot auf Kundenwunsch. Wie das den öffentlichen Verkehr in Zukunft ergänzen und verändern kann, erklärt Henry Morten Steinbach, Referent für neue digitale Mobilitätsformen beim Kompetenzcenter Digitalisierung NRW (KCD).
Henry Morten Steinbach: Aktuell zählen wir 13 Ridepooling-Projekte in Nordrhein-Westfalen. Die Zukunftspotenziale dieser Angebote haben wir bereits vor zwei Jahren in einem Gutachten eruiert. On-Demand-Verkehre und Ridepooling-Systeme können die zunehmend intermodalen Wegeketten von ÖPNV-Kunden sinnvoll ergänzen, etwa als Zubringerverkehre zu SPNV-Stationen und Regional-/Schnellbusverkehren. Ebenfalls können sie in sogenannten Schwachverkehrszeiten, in denen nur wenige Fahrgäste unterwegs sind und reguläre Buslinien viele ungenutzte Kapazitäten haben, eine bedarfsorientiertere Bedienung ermöglichen. Das gilt generell auch für Stadtrandlagen und ländliche Regionen. Hier können On-Demand-Verkehre und Ridepooling-Systeme Angebotslücken schließen und die Daseinsvorsorge sicherstellen. Komplett digital basiert, bieten sie – anders als frühere Ruf- oder Taxibusse – den Fahrgästen zugleich mehr Flexibilität bei der Planung ihrer Fahrten. Kurz zusammengefasst: Die neuen digitalen Mobilitätsformen ergänzen und stärken den Umweltverbund.
Henry Morten Steinbach: Diese Frage verdeutlicht die aktuelle Marktdynamik. Vor einem Jahr hätte die Antwort wahrscheinlich noch gelautet: ‚Diese Fahrdienste sind eigentlich nur vom Individualverkehr und vom Automobil her gedacht, das sind privatwirtschaftliche Angebote. Ridepooling im NRW-Nahverkehr ist dagegen öffentliche Mobilität. Alle Projekte bauen auf das Know-how des ÖPNV.'
Mittlerweile haben einige dieser Anbieter eine strategische Neubewertung vorgenommen. So tritt zum Beispiel der Fahrdienst CleverShuttle vermehrt als Partner des ÖPNVs auf. Oder der Anbieter MOIA hat im Auftrag der Stadt Hamburg während der coronabedingten Ausgangssperre zwischen April und Mai 2021 Nachtfahrten zum HVV-Tarif durchgeführt.
Insgesamt geht es darum, den bestehenden ÖPNV durch neue Bedienformen bestmöglich zu ergänzen – so dass die Kunden und zugleich auch die Umwelt davon profitieren. Deshalb analysieren wir beim KCD, wo der Einsatz von Ridepooling im ÖPNV sinnvoll und nachhaltig ist. Wir wollen dazu beitragen, dass die Menschen den ÖPNV nutzen, ihnen den Zugang zum System erleichtern.
Henry Morten Steinbach: On-Demand-Verkehre und Ridepooling-Systeme können verschiedene Funktionen haben, etwa als ergänzende Angebote in nachfrageschwachen Räumen oder als Zubringer. In Groß- oder besser Innenstädten könnten sie ein Premiumangebot des ÖPNV bilden. Welche Einsatzmöglichkeiten bestehen und wie nachhaltig diese sind, eruieren und evaluieren landesweit verschiedene Marktakteure in unterschiedlichen Einzelprojekten. Die koordinierte Entwicklung von On-Demand-Verkehren und Ridepooling-Systemen bildet deswegen ein eigenes Projekt der ÖPNV Digitalisierungsoffensive NRW. In diesem Querschnittsprojekt betrachten wir zum einen die Angebote, die im Rahmen des Landeswettbewerbs „mobil.nrw – Modellvorhaben innovativer ÖPNV im ländlichen Raum“ realisiert werden.
Gleichberechtigt daneben stehen die Einsatzmöglichkeiten in Städten und Metropolregionen. Dazu startet noch in diesem Monat unsere Potenzialanalyse Ridepooling Ruhrgebiet. Das Ruhrgebiet bietet sowohl suburbane geprägte Räume als auch dicht besiedelte Metropolen, die wiederum auch klassische Stadtrandlagen aufweisen. Darüber hinaus gibt es verschiedene kommunalübergreifende Relationen zwischen Städten und Kreisen. Das sind beste Voraussetzungen für eine Potenzialanalyse. Thematisch soll dabei betrachtet werden, ob und wie Ridepooling-Dienste im Ruhrgebiet eingesetzt werden können und welche Rahmenbedingungen – z.B. Förderungen, Unterstützungsleistungen, administrative Grenzen – dabei berücksichtigt werden sollten. Auf dieser Basis lässt sich eine Übertragbarkeit verschiedener Ridepooling-Modelle auf NRW prüfen und begründet darlegen. Am Ende stehen konkrete Handlungsempfehlungen für die politischen Entscheidungsträger im Ruhrgebiet und skaliert auf ganz NRW.
Insgesamt geht es darum, den bestehenden ÖPNV durch neue Bedienformen bestmöglich zu ergänzen – so dass die Kunden und zugleich auch die Umwelt davon profitieren.
Henry Morten Steinbach: Die größte Herausforderung für die öffentlichen Verkehrsunternehmen bildet sicher die Integration von Ridepooling-Systemen in das bestehende ÖPNV-Netz. Ohne eine gezielte Steuerung der neuen Bedienungsform können sich Effekte ergeben, die die Idee des Umweltverbunds konterkarieren. Wir wollen ja mit öffentlichen Verkehrsangeboten den Straßenverkehr entlasten. Wenn aber heutige Bus- und Bahnkunden vermehrt auf kleine On-Demand-Shuttles umsteigen, die als Angebotsverdichtung in den Innenstädten eingesetzt werden, erreichen wir eher das Gegenteil.
Die Akteure im NRW-Nahverkehr – also die Verbünde und Verkehrsunternehmen, das Zukunftsnetz Mobilität NRW und die Kompetenzcenter in NRW – haben in den vergangenen zwei Jahren mit viel Pioniergeist Ridepooling-Systeme auf die Straße gebracht und deren Umsetzung unterstützt. Aufgrund der Neuartigkeit dieser Verkehre sind zahlreiche rechtliche, planerische und tarifliche Fragen zu klären, bevor Ridepooling-Systeme erfolgreich in das bereits bestehende Verkehrssystem eingebunden werden können. Die flexiblen On-Demand-Verkehre müssen mit dem linien- und fahrplangebundenen ÖPNV kombiniert werden, damit intermodale Reiseketten mit sicheren Anschlüssen funktionieren. Dafür müssen Schnittstellen zu den bestehenden Auskunfts- und Vertriebssystemen des Nahverkehrs geschaffen werden. Denn ÖPNV-Kunden erwarten immer ein Angebot aus einer Hand.
Henry Morten Steinbach: Bislang sind in NRW sowie deutschlandweit fast ausschließlich eigene Ridepooling-Apps zur Fahrtauskunft und -buchung im Einsatz. Es gibt hierfür mehrere Technologieanbieter, die den Verkehrsunternehmen eine On-Demand-Plattform für den Betrieb zur Verfügung stellen. Dabei handelt es sich um proprietäre Lösungen, deren Anbindung an die Bestandssysteme des ÖPNV mit viel Aufwand verbunden ist. Beispielsweise müssen virtuelle Haltestellen in den bestehenden Auskunftssystemen berücksichtigt und Anschlussbeziehungen zwischen vollflexiblen und fahrplangebundenen Verkehrssystemen geschaffen werden. Diese Komplexität wird in laufenden Projekten oder neuen Ausschreibungen zunehmend aufgegriffen und es werden mögliche Systemarchitekturen entwickelt.
Die Auskunfts- und Vertriebssysteme des ÖPNV sollen mit Blick auf intermodale Reiseketten weiterentwickelt werden, um Nutzungsbarrieren im Sinne der Nutzerinnen und Nutzer abzubauen und den Umweltverbund zu stärken. Der dafür notwendige, verkehrsunternehmensübergreifende Austausch und Dialog wird in NRW durch das Kompetenzcenter Digitalisierung NRW gefördert und soll im Sinne der ÖPNV Digitalisierungsoffensive NRW weiter ausgebaut werden.
Fotos: © Stadtwerke Münster (1), © WSW, Stefan Tesche-Hasenbach (2), © privat (3)