Digitalisierung fördert
zugänglichen ÖPNV
27. Januar 2022
Mehr Barrierefreiheit durch Digitalisierung?
Was Digitalisierungsprojekte zu einem barrierefreien ÖPNV beitragen können.
Der ÖPNV spielt für viele Menschen in Deutschland eine bedeutende Rolle. Etwa 20% der zurückgelegten Kilometer – sei es der Weg zur Arbeit, zum Einkauf oder in den Urlaub – entfallen in Deutschland auf den ÖPNV (vgl. BMVI 2018, S. 45).
Trotz des Bedeutungsanstiegs individueller Mobilitätsformen in der jüngeren Vergangenheit, ist der ÖPNV für einen großen Teil der Bevölkerung nach wie vor essenziell, um den Alltag zu bewältigen. Doch für viele Menschen bestehen bei der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel schwer überwindbare Barrieren. Dazu gehören sowohl motorisch und sensorisch eingeschränkte Personen als auch Menschen, die reise- oder altersbedingt bei der ÖPNV-Nutzung vor verschiedensten Herausforderungen stehen.
Zur Unterstützung der individuellen Mobilität von Menschen mit Mobilitätseinschränkungen, sieht das Personenbeförderungsgesetz (PBefG) für das Jahr 2022 eine „vollständige Barrierefreiheit“ im ÖPNV vor (§8 Abs. 3). Um den Abbau von Mobilitätsbarrieren weiter voranzutreiben, widmet sich die ÖPNV Digitalisierungsoffensive NRW auch dem Thema Barrierefreiheit. So sollen durch die Verschmelzung der Themen Digitalisierung und Barrierefreiheit neue Möglichkeiten geschaffen werden, um einen „ÖPNV für alle“ im digitalen sowie im analogen Leben zu ermöglichen. Besonders großes Potenzial besteht dabei in der (Weiter-)Entwicklung von Auskunftssystemen, der Förderung von barrierefreien Mobilitätsapps und dem Ausbau von Standards für einen barrierefreien ÖPNV.
Barrierefreiheit für alle – wie sieht das überhaupt aus?
Für verschiedene Bevölkerungsgruppen bestehen teilweise sehr unterschiedliche Anforderungen an einen barrierefreien ÖPNV (s. Tab. 1). Betroffen sind dabei allerdings nicht nur Personen mit Beeinträchtigungen. Auch Ältere, Schwergewichtige, Reisende mit Gepäck oder Kinderwägen, Nichtmuttersprachler und viele weitere Personen lassen sich im „weiteren Sinne“ als mobilitätseingeschränkt bezeichnen. Die Anforderungen verschiedener Personengruppen an einen zugänglichen ÖPNV unterscheiden sich dabei allerdings teilweise sehr stark voneinander. Deshalb sollten sich Planer:innen von Anfang an auf den engeren Kreis von Personen mit Beeinträchtigungen konzentrieren. Letztendlich kommt es so zu einem Barriereabbau, von dem alle Fahrgäste profitieren können. Ist die Busfahrt zum nächsten Supermarkt erst für Rollstuhlfahrende ohne weiteres möglich, wird dies auch für Reisende mit Kinderwägen der Fall sein.
Wie Digitalisierungsprojekte den ÖPNV zugänglicher machen
Um auf einen vollständig barrierefreien ÖPNV hinzuarbeiten und die öffentlichen Verkehrsangebote für die gesamte Bevölkerung zugänglich machen zu können, gilt es, verschiedene Arten von Barrieren abzubauen. Es bestehen zum einen die „klassischen“ baulichen Barrieren wie Stufen, Treppen, Abstände zu Bahnsteigkanten oder fehlendes Sitz- bzw. Stellplatzangebot. Doch auch Informationen über vorhandene Barrieren entlang der Route oder mögliche Alternativen sind für einen zugänglichen ÖPNV relevant. An dieser Stelle können Digitalisierungsprojekte helfen den Barriereabbau im ÖPNV voranzutreiben. So zum Beispiel das Projekt Multimodale Auskunft NRW der landesweiten ÖPNV Digitalisierungsoffensive, welches sich derzeit im Aufbau befindet. Die Datendrehscheibe ist ein Hintergrundsystem, welches unterschiedliche multimodale Mobilitätsangebote bündelt. Neben den Daten der verschiedenen Mobilitätsanbieter, sind dafür auch Informationen zur Infrastruktur (z.B. Informationen zur Haltestellenausstattung, Verfügbarkeit von Fahrstühlen, etc.) von Relevanz. Die gebündelten Daten werden anschließend in den Mobilitätsapps der Kund:innen sichtbar. Für mobilitätseingeschränkte Personen ist die rechtzeitige und durchgängige Information zu Infrastrukturzuständen sowie Verspätungs- und Baustelleninformationen von besonderer Bedeutung für ihre persönliche Reiseplanung.
Ein weiteres Handlungsfeld, welches auf die Verringerung von Zugangsbarrieren im ÖPV einzahlt, ist die Oberflächengestaltung und das Nutzererlebnis (UI/UX-Design) von Mobilitätsapps. An dieser Stelle setzt das Projekt mobil.nrw barrierefrei der ÖPNV Digitalisierungsoffensive an. Die Zielsetzung liegt u. a. darin, die gesetzlich festgelegten Mindestanforderungen zu prüfen und verständlich zusammenzutragen. Mit Hilfe einer Übersicht sollen die ÖPNV-Partner in NRW auf die gesetzlichen Vorgaben hingewiesen und eine entsprechende Umsetzung erleichtert werden. Der Kriterienkatalog für barrierefreie Anforderungen in Mobilitätsapps soll inklusive weiterer Aspekte, die über die gesetzlichen Mindestanforderungen hinaus gehen, den Verkehrsunternehmen und -verbünden zur Verfügung gestellt werden. In diesem Projekt arbeitet das KCD eng mit den Betroffenen zusammen, etwa seheingeschränkten Menschen. Weiterhin unterstützt das Kompetenzcenter Digitalisierung die Einbindung einer Sprachassistenz in Mobilitätsapps durch digitale Assistenten. Damit soll die Suche nach einer bestimmten Verbindung aber auch die Abfrage von Informationen zur Barrierefreiheit bald mittels Sprachein- und Sprachausgabe erleichtert werden.
Zusätzlich zeigen Leuchtturmprojekte wie das mit dem NRW-Mobilitätspreis ausgezeichnete Programm „Smart4You“ der Modellregion Soest, Bad Sassendorf und Möhnesee, wie sich Barrierefreiheit und Digitalisierung miteinander verbinden lassen. Im Zuge der Initiative kam es unter anderem zur Entwicklung der Mobilitätsapps „Mobil Info“ und „Fahrtwind“, welche auf die Bedürfnisse mobilitätseingeschränkter Personen ausgerichtet sind. Einfahrende Busse werden durch die App mit Liniennummer angekündigt und Fahrgäste direkt zu dem gewünschten Bus navigiert. Während der Fahrt werden die Haltestellen vorgelesen und es besteht die Möglichkeit, seinen Haltewunsch digital über das Smartphone zu wählen.
Eine barrierefreie Zukunft
Die vorgestellten Projekte zeigen, welche Potenziale in der Digitalisierung des ÖPNV für den Abbau von Mobilitätsbarrieren liegen. Vor allem vor dem Hintergrund der anstehenden Mobilitätswende und des demografischen Wandels wird es in Zukunft immer wichtiger, den Zugang zu öffentlichen Verkehrsmitteln für alle Personen eigenständig möglich zu machen. Der Einbezug des Themas Barrierefreiheit bei der (Weiter-)Entwicklung von Digitalisierungsprojekten kann dabei einen großen Beitrag leisten.
Jan Gesing
Als studentischer Mitarbeiter unterstützt er das Kompetenzcenter Digitalisierung NRW.
Fotos: © VRR (1), © KCD (2+3)