Barrierefreiheit
auch in Apps
27. April 2022
Digitale Reisehelfer für alle
Die Apps für den NRW-Nahverkehr sollen noch benutzerfreundlicher werden und die Anforderungen von Menschen mit Behinderung besser berücksichtigen.
Bus- und Bahnfahren ohne App? Für moderne Nahverkehrskund:innen ist das fast undenkbar. Allerdings können die digitalen Reisehelferinnen von Menschen mit Behinderungen nicht immer genutzt werden. Diese Problematik wird im Teilprojekt „mobil.nrw – Barrierefreiheit in Apps“ behandelt. Im Rahmen dieses Projektes wird ein Kriterienkatalog für barrierefreie Apps erstellt, der gesetzliche Vorgaben aufschlüsselt und darüberhinausgehende, wichtige Anforderungen für eine Nutzung ohne Hindernisse anschaulich zusammenführt.
Ausgangslage: Zugangsbarrieren zum Nahverkehr weiter abbauen
Barrierefreiheit im ÖPNV beinhaltet weit mehr als den entsprechenden Ausbau der Infrastruktur und die Gestaltung der Fahrzeuge. Auch die Nahverkehrs-Apps als zentrale Informationsmedien müssen in Bezug auf Nutzerfreundlichkeit barrierefrei sein, damit Menschen mit Behinderungen Busse und Bahnen möglichst einfach nutzen können. „In Sachen Barrierefreiheit profitieren im Nahverkehr eigentlich alle Kund:innen. Reisende mit schwerem Gepäck oder Eltern mit Kinderwagen freuen sich über einen stufenlosen Einstieg in die Bahn genauso wie Fahrgäste mit Gehbehinderungen. Das motiviert uns, auch die Nutzung der Apps weiter zu vereinfachen. Die Usability, also eine gute Bedienbarkeit ist letztendlich zentral für den Erfolg einer jeden digitalen Anwendung“, erklärt Andreas Zylla, Projektleiter „mobil.nrw – Barrierefreiheit in Apps“ beim Kompetenzcenter Digitalisierung (KCD).
In Deutschland leben laut Statistischem Bundesamt rund 10,2 Millionen Menschen mit einer Behinderung, davon 7,9 Millionen mit einer anerkannten Schwerbehinderung. Sie gelten als wichtige Anspruchsgruppe für digitale Services im Sinne gesellschaftlicher Teilhabe.
Trotz konkreter Vorgaben durch die Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV) ist es allerdings nicht einfach, umfassende Barrierefreiheit in einer Mobilitäts-App zu realisieren. Der wichtigste Grund dafür: Barrierefreiheit umfasst ein weites Feld an Behinderungen, einschließlich visueller, auditiver, motorischer, sprachlicher, kognitiver, Sprach-, Lern- und neurologischer Einschränkungen. „Die Bedürfnisse an die Usability einer App sind sehr unterschiedlich und zum Teil sehr speziell“, beschreibt Zylla die Herausforderung. Mit dem vom KCD entwickelten Kriterienkatalog erhalten Verkehrsverbünde und Verkehrsunternehmen in Nordrhein-Westfalen nun eine Hilfestellung, ihre Apps hinsichtlich offizieller, gesetzlicher Vorgaben, Kundenwünschen und technischer Möglichkeiten zu prüfen und barrierefrei nutzbar zu machen.
Maßnahme I: Status quo zu Mobilitätseinstellungen und App-Services erheben
Zur Entwicklung des Kriterienkatalogs hat das Projektteam beim KCD in einem ersten Schritt mehr als 20 verschiedene Apps für den NRW-Nahverkehr auf barrierefreie Nutzungsmöglichkeiten hin getestet und den Sachstand in puncto „aktuelle Mobilitätseinstellungen“ zusammengetragen. Die Auswahl zielte auf möglichst viele verschiedene Anbieter und beinhaltete Apps von Verkehrsunternehmen aus Großstädten sowie aus ländlichen Regionen, Verbund-Apps und die mobil.nrw App.
Die von uns geprüften Apps sind im Bereich der Nutzerfreundlichkeit sehr unterschiedlich. Sie stellen einige Hilfsmittel bereit, die als Referenz herangezogen werden können, aber sie lassen sich in Bezug auf eine barrierefreie Nutzung noch optimieren. Das beginnt – je nach App – mit einer angemessenen Schrift-/Icongröße, der Möglichkeit zu zoomen oder der Farb- und Kontrastauswahl.
KCD NRW, Projektleiter „mobil.nrw – Barrierefreiheit in Apps“
So unterschiedlich wie die barrierefreien Nutzungsmöglichkeiten der Apps sind auch die im Sinne der Barrierefreiheit bereitgestellten Services. Spracheingaben und -ansagen sind oft nur für die Fahrplanauskunft wählbar, nicht aber für die gesamte Navigation. Einige Apps bieten beispielsweise eine Ortung und Fußgängernavigation zur Haltestelle, andere die Ansicht einer Karte, wie man zur Haltestelle gelangen kann, und wiederum andere haben derartige Features überhaupt nicht berücksichtigt. Dasselbe gilt etwa für die Möglichkeit, einen Haltewunsch während der Fahrt per App anzumelden.
Maßnahme II: Gemeinsam mit den Menschen Kriterien für Usability definieren
In einem zweiten Schritt wurden gemeinsam mit Menschen mit unterschiedlichen Einschränkungen insgesamt 48 Kriterien für mehr Barrierefreiheit in den Apps des NRW-Nahverkehrs definiert und auf die gesetzlichen Mindestanforderungen zur digitalen Barrierefreiheit hin geprüft. „Uns war es wichtig, dass möglichst viele Wünsche, die realistisch und technisch machbar sind, im Kriterienkatalog berücksichtigt werden. Es geht schließlich darum, dass möglichst allen Menschen das bestmögliche Angebot im Bereich der Benutzermöglichkeit geboten wird“, betont Zylla. Neben den unterschiedlich formulierten Anforderungen umfasst der Kriterienkatalog aktuelle gesetzliche Vorgaben sowie die Web Content Accessibility Guidelines (WCAG), dem in der EU geltenden internationalen Standard zur barrierefreien Gestaltung von Internetangeboten.
Ausblick: Barrierefreie App-Anforderungen kontinuierlich weiterentwickeln
Mit dem Kriterienkatalog zur Barrierefreiheit in Apps erhalten die Partner:innen im NRW-Nahverkehr eine Übersicht zu den gesetzlich geltenden Mindestanforderungen. Darüber hinaus bietet der Katalog viele weitere Features, die aus Sicht der Nutzer:innen wünschenswert und technisch bereits realisierbar sind. Im weiteren Projektverlauf sollen Möglichkeiten zur regelmäßigen und optimalerweise automatisierten Überprüfung von Nahverkehrs-Apps auf gesetzliche und weiterführende Anforderungen der Barrierefreiheit erarbeitet werden. Der Kriterienkatalog konzentriert sich derzeit ausschließlich auf die Benutzerfreundlichkeit. Einen weiteren und sehr wichtigen Aspekt bildet die Auskunft barrierefreier Reiseketten durch die Apps. Dieser Themenschwerpunkt muss in Zukunft gesondert betrachtet werden.
Fotos: © VRR AöR