Eine barrierefreie digitale Welt bringt nur Gewinner:innen mit sich: Menschen können am digitalen Alltag teilnehmen und die Anbieter gewinnen zahlreiche neue und zufriedene Nutzende.
Moderne Mobilitätsapps sollen Zugangsbarrieren zum Nahverkehr weiter abbauen. Allerdings sind viele Apps nicht ausreichend barrierefrei. Zu kleine Schriftgrößen, zu wenig Farbkontraste oder Oberflächen, die sich nicht ausreichend mit den Fingern zoomen lassen, stellen beispielsweise für Menschen mit Sehbehinderungen deutliche Einschränkungen in der Usability dar. Im Teilprojekt „mobil.nrw – Barrierefreiheit in Apps“ hat die ÖPNV Digitalisierungsoffensive NRW die Benutzerfreundlichkeit der digitalen Reisehelfer untersucht. Die Ergebnisse werden in einem Kriterienkatalog bereitgestellt. Projektleiter Andreas Zylla erklärt, wie Verkehrsunternehmen den Katalog für mehr Barrierefreiheit in ihren Mobilitätsapps nutzen können.
Wie bauen wir digitale Zugangshemmnisse zum Nahverkehr ab?
Andreas Zylla: Mit dem Kriterienkatalog zur Barrierefreiheit in Apps erhalten die Partner:innen im NRW-Nahverkehr eine Übersicht zu den gesetzlich geltenden Mindestanforderungen. Darüber hinaus bietet der Katalog viele weitere Features, die aus Sicht der Nutzer:innen wünschenswert und technisch bereits realisierbar sind. Dazu gehören etwa konkrete Informationen über die Barrierefreiheit von Haltestellen und die Funktionalität von Aufzügen. Aber auch die Anzeige aller, für eine Fahrt oder an Haltestellen verfügbaren Verkehrsmittel ist wünschenswert – also gibt es neben Bus und Bahn vielleicht noch eine Radstation oder ein Sharing-Angebot? Auch ein Haltewunschknopf über die App ist wünschenswert. Der Kriterienkatalog soll ÖPNV-Partner:innen bzw. App-Entwickler:innen sensibilisieren und ihnen Orientierung bieten. Werden alle Menschen bei der Gestaltung einer digitalen Barrierefreiheit berücksichtigt, entstehen Lösungen, von denen jeder profitiert.
Eine barrierefreie digitale Welt bringt nur Gewinner:innen mit sich: Menschen können am digitalen Alltag teilnehmen und die Anbieter gewinnen zahlreiche neue und zufriedene Nutzende.
Andreas Zylla: Grundsätzlich sollte das Thema Barrierefreiheit immer bei der Entwicklung von Apps berücksichtigt werden. Für zahlreiche Menschen ist eine App-Nutzung gar nicht so einfach, sie stoßen da nicht selten auf Stellen, die sie nicht gut wahrnehmen, verstehen oder bedienen können – digitale Barrieren also. Einige digitale Benutzeroberflächen sind nicht auf Menschen ausgerichtet, die in ihren Sinnen oder motorischen Fähigkeiten beeinträchtigt sind oder einfach nur zu wenig Erfahrung mitbringen. Digitale Barrierefreiheit ist wichtig, damit sich Menschen mit und ohne Einschränkungen selbstständig durch die digitale Welt bewegen können. Dabei stellen die gesetzlichen Vorgaben zur digitalen Barrierefreiheit nur Mindestanforderungen dar. Im Leitfaden wurden darüber hinaus Features aufgelistet, die für verschiedene Zielgruppen wichtige Hilfestellungen bieten – und Apps für viele Nutzer:innen attraktiver machen.
Andreas Zylla: Der Kriterienkatalog ist in erster Linie ein „Leitfaden“, eine Hilfestellung für die ÖPNV-Partner:innen, um die gesetzlichen Vorgaben zur Barrierefreiheit in Apps zu betrachten und in ihrer eigenen App umzusetzen. Dabei zeigt der Leitfaden auf, welche Barrikaden in Apps und auf Webseiten existieren und wie man diese beheben kann. Dazu gibt es auch zahlreiche Beispiele – stets mit einer Verlinkung zu einer BITV-Online-Testseite. Darüber hinaus finden sich im Leitfaden weitere Testmöglichkeiten, mit denen sich Apps und Webseiten – sowohl manuell als auch automatisch – auf Barrierefreiheit prüfen lassen.
Der BITV-Test ist in Deutschland ein umfassendes Verfahren zur Prüfung der Barrierefreiheit von Websites und digitalen Anwendungen (auf Basis der „Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung“ 2.0 / EN 301 549). Ein digitales Angebot gilt dann als BITV-konform, wenn alle Anforderungen des Tests als "erfüllt" bewertet wurden. Stand Mai 2022 umfasst der BITV-Test 98 Prüfschritte.
Andreas Zylla: Der Stand der Technik eröffnet viele Möglichkeiten. So gibt es zum Beispiel barrierefreie Fußgängerroutings, die einen optimierten Fußweg ausgeben, um z. B. unsichere Straßenübergänge zu vermeiden und Kund:innen möglichst über Ampeln und Zebrastreifen auf die richtige Straßenseite zu lotsen. Bei aller Euphorie ist es aber wichtig, zu beachten, dass die Systeme nur so gut sind, wie die Daten, die sie nutzen können. Zunächst muss also sichergestellt sein, dass die vorhandenen Daten zu barrierefreien Wegen oder auch zur Funktionsfähigkeit von Aufzügen oder zur Verfügbarkeit von Rampen in Fahrzeugen und viele weitere ein hohes Maß an Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Auch da sollte die Umsetzung gesetzlicher Vorgaben die Basis bilden, um anschließend weitere Verbesserungen voranzutreiben.
Andreas Zylla: Der Leitfaden steht auf der Webseite des Kompetenzcenters Digitalisierung (KCD) zum Download bereit. Außerdem wird das KCD über seinen Newsletter zum Thema Barrierefreiheit in Apps informieren.
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