Künstliche Intelligenz kann die Verkehrsplanung dort übernehmen, wo sich der Einsatz menschlicher Planer*innen wirtschaftlich nicht rechtfertigen lässt – und so die Mobilitätswende nachhaltig unterstützen. Die Innovationsrate könnte hier höher sein.
Geht es um die Zukunft der Mobilität, setzen immer mehr Menschen in Deutschland auf Künstliche Intelligenz (KI). Nach einer aktuellen Umfrage des Digitalverbands Bitkom sind heute schon 49 Prozent der deutschen Bevölkerung überzeugt, dass KI die Nutzung neuer Mobilitätsangebote und damit auch den ÖPNV attraktiver machen wird. Welche Mehrwerte KI-Lösungen für eine moderne öffentliche Mobilität heute schon bieten und welche Chancen sich daraus noch ergeben, erörtern die Mitarbeitenden des Kompetenzcenters Digitalisierung NRW (KCD) Markus Omers und Resul Keskin mit Dr. Christian Temath, Geschäftsführer der Kompetenzplattform KI.NRW.
Markus Omers: In der ÖPNV Digitalisierungsoffensive NRW arbeiten wir seit einigen Jahren an KI-Lösungen, die schon im Einsatz sind oder bald an den Start gehen. Dazu gehören zum Beispiel Auslastungsinformationen in der Fahrplanauskunft, der Service-Chat NRW und der vollautomatisierte Kundendialog mit Sprachassistenz für die Apps und Auskunftssysteme im NRW-Nahverkehr. Viele Aufgaben des ÖPNVs könnten künftig durch KI-Einsatz besser erfüllt werden: Die Einnahmenaufteilung für das Deutschlandticket, die Kund:innenberatung und die Wartung von Fahrzeugen sind lohnende Einsatzzwecke, die bereits an verschiedenen Stellen getestet werden.
Planungs- und Dispositionstools mit generativer KI sind auch essenziell für alternative Bedienformen – also digital vernetzte On-Demand-Verkehre, aber auch für die bewährten Bürgerbusse, um diese Angebote zukunftsorientiert weiterzuentwickeln. Denn Mobilität abseits des Massenverkehrs benötigt sehr preiswerte Verfahren, um überhaupt erbracht werden zu können. Auch die Initiative Mobility-as-a-Service profitiert von Künstlicher Intelligenz.
Dabei darf nicht vergessen werden: Künstliche Intelligenz kann in der Regel erst bei Prozessen optimal greifen, bei denen die Digitalisierung vorangetrieben oder abgeschlossen ist.
Künstliche Intelligenz kann die Verkehrsplanung dort übernehmen, wo sich der Einsatz menschlicher Planer*innen wirtschaftlich nicht rechtfertigen lässt – und so die Mobilitätswende nachhaltig unterstützen. Die Innovationsrate könnte hier höher sein.
Zur Förderung des Einsatzes von Künstlicher Intelligenz im Nahverkehr Nordrhein-Westfalens hat die ÖPNV Digitalisierungsoffensive NRW einen Landeswettbewerb initiiert und 2022 erstmals durchgeführt. Vier ausgewählte Projekte erhalten über zwei Jahre eine vom Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Verkehr finanzierte Förderung. Ziel ist es, funktionsfähige KI-Methoden für den ÖPNV zu adaptieren und in innovative Mobilitätsprojekte zu überführen. Die Projekte werden im Spätsommer 2024 abgeschlossen und evaluiert.
Resul Keskin: Künstliche Intelligenz bietet ein weites Spektrum an bereits in anderen Branchen etablierten Methoden und Modellen. In Verkehrsunternehmen kann sie Mitarbeitende bei Aufgaben unterstützen, die sich ständig wiederholen und in abstrakte Muster ableiten lassen. In der Kundenbetreuung sind Lösungen vorstellbar, welche die Bearbeitungszeiten für Kundenanfragen reduzieren. Der Umfang solcher Lösungen sollte die Kundenzufriedenheit natürlich nicht aus den Augen lassen. Bei den landes- und bundesweiten Lösungen im Bereich der Fahrgastinformation könnte KI beispielsweise dabei helfen, die Datenqualität zu verbessern und präzisere Prognosen in der Fahrplanauskunft ermöglichen.
Aus technischer Sicht muss man immer wieder betonen, dass Künstliche Intelligenz nicht allein aus Large Language Models – bekannt aus ChatGPT – besteht. Für einen Nagel nehme ich einen Hammer und für eine Schraube eher den Akkuschrauber. Das lässt sich auf KI-Lösungen übertragen. Für jede Einsatzmöglichkeit gibt es Methoden und Modelle mit unterschiedlich ausgeprägten Fähigkeiten.
Large Language Modelle (LLM) sind eine Form von generativer Künstlicher Intelligenz für textbasierte Inhalte. Es handelt sich um Lern- bzw. Sprachmodelle, die auf Mengen von Textdaten trainiert werden. Sie verarbeiten und generieren natürliche Sprache und sind für spezielle Aufgaben wie das Zusammenfassen, das Übersetzen oder das Erzeugen von Texten einsetzbar.
Dr. Christian Temath: Ja, ganz sicher. Zunächst sei aber gesagt, dass die Gewinner des KI-Wettbewerbs schon selbst viele tolle Ideen entwickelt und Punkte identifiziert haben, an denen der KI-Einsatz sinnvoll ist. Mit Blick auf unser KI-Ökosystem in NRW kann sich sicher die Vernetzung mit KI-Expert:innen aus der Logistik lohnen.
Zum Beispiel bei der aiduataByte GmbH in Sankt Augustin arbeitet man an einer intelligenten Systemlösung zur einfacheren und effizienteren Planung von Touren und Aufträgen. Dabei werden sowohl die durchschnittlichen täglichen Fahrzeiten, als auch der tägliche Aufwand für Planung und Anpassung der Einsätze reduziert. Für die Planer:innen ist dieses System eine wertvolle Unterstützung bei ihrer Arbeit. Und das Gute dabei: Die intelligente Tourenplanung spart nicht nur Zeit, sondern auch Sprit – ein ganz zentraler Aspekt für die Erreichung der Klimaziele im Verkehrssektor. Eng damit verknüpft ist auch die Frage nach der Personaleinsatzplanung. pacemaker aus Münster etwa stellt ein KI-System zur Verfügung, mit dem Personal langerfristiger geplant werden kann. Das ist natürlich für die Beschäftigten eine gute Sache, wenn sie früher wissen, wie ihre Dienstpläne aussehen. Auf Seite der Kund:innen zeigte das Forschungsprojekt für inklusives und atuonomes Fahren „Ride4All“, dass KI auch bei der Barrierefreiheit helfen kann, zum Beispiel mit der Entwicklung einer digitalen Reiseassistenz oder der Implementierung von Hardware in Bussen zur barrierefreien Kommunikation zwischen Fahrzeug und Fahrgast.
Damit KI-Systeme aber wirklich einen Benefit für den ÖPNV bringen, muss sichergestellt sein, dass sie robust und verlässlich laufen. Im KI.NRW-Flagship-Projekt ZERTIFIZIERTE KI arbeitet unter der Konsortialführung des Fraunhofer IAIS ein interdisziplinäres Team genau daran: an der sicheren und vertrauenswürdigen Gestaltung von KI. Wie das gelingen kann, haben die Forscher:innen in ihrem KI-Prüfkatalog systematisch aufgearbeitet.
Dr. Christian Temath: Der Einsatz Generativer KI kann gerade im Kontext der Interaktion mit den Fahrgästen positive Effekte haben. Jeder Fahrgast hat seine individuelle Route und damit individuelle Fragen an die Beförderungs-App, sei es bei der Reiseplanung, der akuten Unterstützung bei der Inanspruchnahme von Ersatzverkehren oder auch, wenn es um den Geltungsbereich von Tickets oder die Mitnahme eines Fahrrads geht. Ein Large Language Modell, das auf typische Fragestellungen des ÖPNV trainiert wurde, könnte diese schnell und anwenderspezifisch beantworten. Generative KI allein ist aber nur ein Teil der Möglichkeiten. Herkömmliche Verfahren des Maschinellen Lernens können ebenfalls große Mehrwerte schaffen, beispielsweise bei der Realisierung einer höheren Taktung von Bahnen. Die KI-basierte Verkehrssteuerung wird perspektivisch auch dazu beitragen, dass der Verkehr insgesamt sicherer wird.
Mit Blick auf den Fachkräftemangel und den demographischen Wandel ist der größte Hebel für die Nutzung von KI im ÖPNV das autonome Fahren. Gerade bei der Anbindung ländlicher Regionen an das nächste Stadtzentrum können selbstständig fahrende On-demand-Busse ein Gewinn sein, vor allem für die Zufriedenheit der Bürger:innen, die dann flexibler planen können.
Die Kompetenzplattform KI.NRW baut Nordrhein-Westfalen zu einem führenden Standort für angewandte Künstliche Intelligenz (KI) aus und etabliert das Land in internationalen Netzwerken. Als zentrale Dachorganisation für Künstliche Intelligenz vereint KI.NRW den Dreiklang aus Spitzenforschung, Innovation und Unternehmertum. Ziel ist es, den Transfer von KI aus der Spitzenforschung in die Wirtschaft zu beschleunigen, eine Leitregion für berufliche Qualifizierung in KI aufzubauen und Impulse im gesellschaftlichen Dialog zu setzen. Dabei stellt KI.NRW die Menschen und ihre ethischen Grundsätze in den Mittelpunkt der Gestaltung von Künstlicher Intelligenz. KI.NRW wird gefördert durch die Landesministerien MWIKE und MKW und geleitet vom Fraunhofer-Institut für Intelligente Analyse- und Informationssysteme IAIS in Sankt Augustin.
Am 2. Februar 2024 haben sich die Mitgliedstaaten der Europäischen Union auf eine gemeinsame KI-Verordnung verständigt. Sie ist das weltweilt erste umfassende Regelwerk für den Einsatz Künstlicher Intelligenz. Die Verordnung zur Festlegung harmonisierter Vorschriften für Künstliche Intelligenz (KI-Verordnung / AI Act) soll Innovationen fördern, das Vertrauen in KI stärken und sicherstellen, dass die Nutzung der Technologie die Grundrechte und die Sicherheit der Bürger*innen der EU respektiert.
Bildnachweise: Header © Shutterstock / TippaPart; Porträt Markus Omers © KCD NRW;
Porträt Resul Keskin © Lara Holling; Porträt Dr. Christian Temath © privat